Corporate Storytelling – Die Geschichte als Anker
Wenn alles um einen herum ins Wanken gerät, kann der Blick in die Geschichte dabei unterstützen, Halt und Orientierung zurückzugewinnen und sich auf dieser Basis neu in Raum und Zeit zu verorten. Ein Plädoyer für die Beschäftigung mit der eigenen Geschichte in aufgewühlten Zeiten.
Wir leben in bewegten Zeiten, in sehr bewegten sogar. Nach dem Mauerfall ist es nun das zweite Mal in meiner persönlichen Lebensgeschichte, dass ich das Gefühl habe, eine regelrechte Zäsur mitzuerleben. Eine Zeitenwende, in der das Nachher nicht mehr so ist wie das Vorher. Aber bevor Folgegenerationen diese zu einer Epoche deklarieren, befinden wir uns aktuell mittendrin im Geschehen. Der wunderbare Dichter Camille Bryen hat solche Zeiten einmal als „n’etre qu’entre“, „Igendwo-Dazwischen-Sein“, beschrieben. Das Alte ist noch gegenwärtig, gerät aber zunehmend ins Wanken. Neues blitzt auf, ist aber noch nicht wirklich greifbar.
Dieses Dazwischen erzeugt ein Gefühl von Schwebe, von Unsicherheit, teilweise von regelrechter Bedrohung. Gleichzeitig bietet es aber auch neue Möglichkeiten. Für jeden einzelnen von uns bietet sich die Chance, den eigenen Lebensentwurf auf den Prüfstein zu stellen: Welche Lücken weist meine bisherige Biografie auf? Bin ich noch auf Kurs mit dem, was ich mir vorgenommen habe? Was überhaupt ist mein höherer Sinn? Und daran anschließend: Was, basierend auf meinen eigenen Werten und Überzeugungen soll noch kommen?
Das was für Individuen gilt, gilt im gleichen Maße auch für Organisationen. Für die meisten Unternehmen haben sich in den letzten Monaten eine Reihe von Rahmenbedingungen und Paradigmen geändert. Mitarbeiter / Kollegen wurden entlassen, Lieferketten durchbrochen, so manche Produkte gar nicht mehr nachgefragt.
Um auf die Veränderungsprozesse zu reagieren, schlittern viele Unternehmen aktuell in einen (geschichts-) blinden Aktionismus hinein. Dieser ist zwar allzu gut nachvollziehbar, aber vermutlich nicht sonderlich nachhaltig. Zudem führt dieser Aktionismus zu weiteren Verunsicherungen bei den Mitarbeitern. Denn gerade wenn sich so vieles um einen herum wandelt, ist die Sehnsucht nach Bewahrenswertem, nach Kontinuität groß.
Statt sich also den Turbulenzen des Geschehens zu unterwerfen, täte es gut, einen Moment inne zu halten und über das Geschehene zu reflektieren:
Was waren noch einmal die Intentionen, aus denen heraus unser Unternehmen gegründet wurde? Mit welchem Versprechen sind wir angetreten? Was waren in der Vergangenheit unsere handlungsleitenden Werte? Was hat uns bisher durch unsichere Zeiten manövrieren lassen? An welchen neuralgischen Punkten mussten wir in der Vergangenheit umdenken und was hat uns dabei unterstützt, vergangene Krisen zu meistern?
Die Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte hilft, seinem höheren Daseinszweck auf die Spur zu kommen und ihn als Fixstern für künftiges Handeln zu benutzen. Sie hilft, aus vergangenen Fehlern und Krisen zu lernen und Erfolgsmuster im Umgang mit schwierigen Situationen zu identifizieren. Sie hilft auch, sich seiner gelebten Werte bewusst zu werden und Mitarbeitern damit ein Rüstzeug für eigenverantwortliche Entscheidungen – basierend auf den gelebten Werten des Unternehmens zur Verfügung zu stellen. Die eigene Geschichte, so möchte ich sagen, ist der Fels in der rauen Brandung unserer Zeiten. Sie unterstützt dabei, sich – gut verwurzelt in der eigenen Gewordenheit – neu aufzustellen. Entsprechend schenkt sie Mitarbeitern ein Gefühl von Sicherheit, Halt und Orientierung zurück und weist den Weg in eine erfolgreiche Zukunftsgeschichte.
Das Beitragsbild stammt von der wunderbaren Rebecca Raue, Künstlerin und Geschäftsführerin von Ephra gUG.: Rebecca Raue, Wale springen, 2016, Copyright: Rebecca Raue und VG Bildkunst www. rebeccaraue.de /rebeccaraue.de/